Montagabend war ich bei einem Netzwerktreffen von GABAL (Meet & More) zum Thema Workation und KI.
Am Ende meinte der Moderator ganz euphorisch, dass wir mit der KI enorm viel Zeit sparen für Urlaub und Freizeit.
Mit automatisierten Strecken Zeit sparen
Wenn wir für alle unliebsame Arbeiten automatisierte Strecken bauen, die das in einem Bruchteil der bisherigen Zeit bearbeiten, sparen wir Zeit und Energie.
Bei mir wären das vor allem erst mal Verwaltungssachen, Buchhaltung, Formulare, Anträge etc.
Wobei ich noch nicht so fit mit der KI bin, dass ich solche „automatisierte Strecken bauen“ könnte. Das würde mich also schon auch erst mal ziemlich viel Zeit kosten, mich da einzuarbeiten und das aufzubauen.
Ja, und dann hätten wir doch mehr Zeit für Urlaub – oder die Arbeiten, die wir gerne machen.
☀ Das klingt ganz wundervoll – oder?
Meine Gedanken und Fragen dazu
Nur ging mir nachher folgendes durch den Kopf:
Theoretisch mag das stimmen, ich kann durch KI Zeit sparen bei bisherigen doofen oder zeitaufwendigen Arbeiten.
Aber: Meine Erfahrung ist, dass das niemals bedeutet, dass wir dann wirklich mehr Freizeit haben und weniger arbeiten.
Im Gegenteil: es wird immer mehr verlangt, immer perfekter und vor allem auch immer schneller. Statt Erleichterung kann der Stress so durchaus noch wachsen.
Wie war das denn bisher? Kleiner historischer Rückblick 🙂
Ich habe meine Diplomarbeit noch mit einer elektrischen Schreibmaschine geschrieben!
Mit Tipp-Ex, auseinanderschneiden, per Hand kopieren, neu zusammenkleben – alles ungeheuer zeitraubend und nicht wirklich hübsch.
Durch die Arbeit mit dem PC ging das natürlich alles viel schneller, einfacher, eleganter.
Was habe ich mich anfangs richtig gefreut, wie ich da einfach etwas ausschneiden und neu einfügen konnte.
Ich habe meine Diplomarbeit noch mit einer elektrischen Schreibmaschine geschrieben!
Mit Tipp-Ex, auseinanderschneiden, per Hand kopieren, neu zusammenkleben – alles ungeheuer zeitraubend und nicht wirklich hübsch.
Durch die Arbeit mit dem PC ging das natürlich alles viel schneller, einfacher, eleganter. Was habe ich mich anfangs richtig gefreut, wie ich da einfach etwas ausschneiden und neu einfügen konnte.
Und im Laufe meines Lebens habe ich so einiges an technischen Entwicklungen und Neuerungen mitbekommen:
- auf einer Tafel mit Kreide schreiben, mit Stiften in Hefte schreiben, auf einer mechanischen Schreibmaschine, mit einer elektrischen Schreibmaschine (die Steigerung: mit eingebautem Tipp-EX!!!!), auf Computer
- Statt Briefe Fax, dann E-Mail, schließllich WhatsApp oder Sprachnachrichten.
- Von Telefonzellen, die man aufsuchen musste, Telefon im Flur mit Wählscheibe, Tastentelefon, schnurloses Telefon, bis hin zum Smartphone.
- Fotoapparat, Digital-Kamera, Handy-Fotos
- Video-Kamera, VHS-Kassetten, Digital-Kamera, Videos mit Handy und am PC
- Die ganze Audio-Entwicklung: Radio, Kassetten aufnehmen, Kassetten-Abspielgerät, CDs, MP3 usw.
Das ist schon irre, was ich da alles an Entwicklungen erlebt habe. Ich erinnere mich noch an meine erste Reaktion an ein Fax :-).
Für die meisten schon unvorstellbar.
Zeitersparnis durch KI
Und genauso wird es sicher auch sein, wenn wir durch KI bestimmte Arbeiten einfacher und schneller machen können.
Dann brauche ich beispielsweise für die Buchhaltung nicht mehr 3 Stunden, sondern nur noch eine.
Und was mache ich dann mit den „gewonnenen“ 2 Stunden?
Ich denke, DAS ist genau die Frage. Sage ich dann, prima, das rechne ich jetzt auf die Urlaubstage an?
Oder nehme ich mir dann die nächste Arbeit vor – und schaffe eben mehr Projekte als vorher.
Automatisch wird das nicht passieren
Bei dem Beispiel Buchhaltung wird es zumindest bei mir funktionieren. Denn die mache ich leider bislang immer noch Samstagmorgen.
Wenn ich dann also früher damit fertig bin, werde ich fröhlich ins Wochenende übergehen.
Doch bei allen Arbeiten in der Woche, die ich durch KI schneller erledigen kann, werde ich dann sicher noch ein neues Projekt dazu nehmen und bearbeiten, sprich: mehr arbeiten.
Denn auch die Erwartungen werden steigen
Noch etwas weiter gedacht: Wenn dann immer mehr Menschen KI nutzen und für bestimmte Arbeiten automatische Strecken gebaut haben (du merkst, diese Formulierung gefällt mir :-)), dann wird es irgendwann normal sein. Dann wird jeder Auftraggeber erwarten, dass du innerhalb eines Tages ein Angebot erstellt hast. Und eine kurze Zusammenfassung des Gesprächs, fein gegliedert. Denn das geht ja alles „automatisch“, wenn du weißt wie und womit.
So war es ja bisher mit allen neuen technischen Entwicklungen: Sie erleichtern die Arbeit, vieles geht schneller, du musst aber auch mehr liefern.
Von daher meine Gedanken:
Was können wir tun?
Wahrscheinlich können wir erst einmal nur bei uns selbst anfangen (wie so oft :-)) und achtsam sein.
Sich selbst begrenzen und beschränken.
Mir vorher klar machen und einplanen: So viel Freizeit will ich haben, so viel Urlaub will ich machen, in diesem Tempo will ich arbeiten – oder eben auch nicht.
Und dann die Konsequenzen ziehen. Einen Auftrag weniger bekommen. Unverständnis bei Gesprächsparntern und Kollegen in Kauf nehmen, Abgrenzen lernen – und immer wieder schauen: Was sind meine Werte, wie möchte ich meine Arbeit gestalten.
Nehme ich KI als erfreuliche Hilfe, als Assistenten, der mir bei mancher Arbeit hilft und mir doofe Arbeiten abnimmt – oder lasse ich mich auf diese Geschwindigkeits-Ralley ein und schaue, dass ich mit den anderen mithalten kann oder sie sogar rechts überhole. Yeah, ich bin noch schneller!
Ich denke, da müssen wir nach wie vor selbst aufpassen, dass wir uns nicht mitreißen lassen von dem Tempo, immer mehr, immer schneller, immer perfekter. Sondern ganz bewusst die neu gewonnene Zeit für Freizeit einplanen oder für Arbeiten, die wir eben lieber machen
Also
- Klare Entscheidungen treffen
- Kluger Einsatz von KI
- Mir die Zeitersparnis bewusst machen und die gesparte Zeit bewusst einplanen für
– Arbeit, die ich total gerne mache
– Freizeit
– Fortbildung
▶ Deine Sicht und Gedanken dazu würde mich wirklich sehr interessieren. Bitte teile sie mit uns im Kommentar.
Sehe ich genauso wie Du, liebe Zamyat. Das Ganze erinnert mich auchvsehr an Heinrich Bölls „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“, die es auch als Geschichte vom Fischer und dem Geschäftsmann gibt. Und damals gab es noch keine KI.
Und von meiner „geliebte“ Ruth Cohn stammt die dazu passende Frage zur Selbstreflexion: „Tue ich wirklich das, was ich will, und will ich wirklich das, was ich tue?“ Auch diese Frage ist ohne KI enorm relevant, weil sie mich zwingt über das Wesentliche nachzudenken. Erst dann kann ich eine bewusste Entscheidung treffen.
Dir wünsche ich weiterhin gute Entscheidungen in deiner so wichtigen und wertvollen Arbeit.
Lieber Harmut,
ach ja die Böll-Geschichte finde ich auch total klasse! Und sie passt wirklich prima, Danke für die Erinnerung.
Und die Frage von Ruth Cohn ist natürlich auch genau die richtige.
Oft tun wir Dinge, weil wir meinen, wir müssten sie tun, fühlen uns unter Druck und machen es gestresst, während uns anderes, wofür wir uns begeistern, leicht von der Hand gehen – und meist auch viel bessere Ergebnisse bringen.
Natürlich können wir das nicht immer so machen, aber bei den Prioritäten fängt es eben an.